Leseprobe 3
… Als Fritz und Trude beim Packen waren, kam von der
Reederei plötzlich ein Fax: Aus Sicherheitsgründen würde es im Orient
keine Landgänge geben. - "Wollta denn trotzdem fahrn?", wurden sie
besorgt von Familie und Freunden gefragt. Was machen? Zwei Tage lang
saßen sie wie gelähmt. Dann beschlossen sie, weiter zu packen.
Gottfried, den sie während ihres Landgangs auf Santorin noch einmal auf
den Ausfall der Landgänge ansprachen, winkte nur rigoros ab: "Bei einer
fünffachen Versicherungssumme fürs Anlegen in einem arabischen Hafen?"
Er tippte sich an die Stirn. "Außerdem - schauen Sie sich mal um, wie
viele amerikanische Gäste wir haben. Die wären uns alle abgesprungen.
Nein, in der Frage hatten wir keine Entscheidungsnot."
Die Nacht
kommt. Auf dem Bardeck spielt Csaba zum Tanz. Wenn es achtern leer wird
und auch hinter dem Hauptmast am Pool, dreht Syd meistens leise pfeifend
seine Runden über die Decks; und wenn er dabei auf Fritz trifft, kann
es sein, dass er mit ihm über die Navy spricht und über den Krieg, in
dem Männer wie sie Feinde sein mussten. Syd war während der
Besatzungszeit in Gatow stationiert. Dort hat er Carol getroffen -Tante
Carol, um es genauer zu sagen. Aber weil sie die jüngste von Mutters
Schwestern ist, wird sie von ihren Nichten und Neffen seit eh und je
immer nur Carol genannt. Sie war Syd schließlich nach England gefolgt.
Nach ein paar Wochen erhielt die Familie ein Telegramm, dass sie nun
verheiratet seien.
"Syd", versucht Fritz es an einem der stillen
Abende, die sie zusammen an Oberdeck stehen. Er sagt es ganz leise,
beinahe tonlos; es verliert sich auch gleich wieder in der Schwärze der
Nacht. "Mit Carol sieht's ja nu janich jut aus. Willste nich mal mit'm
Schiffsarzt reden? So, wie's jetzt steht. Ick meene - Wir sind nemlich
der Ansicht, Syd, dass s'es bis Thailand nich schafft." - Syd hört sich
seine Bedenken an, und dann lauschen sie dem Rhythmus des Wassers, das
den Bug umspült und gegen die Seiten klatscht und die Sterne sanft
schaukeln lässt.
"Wenn wir Wind hätten und unser Ruder noch hielten
-" Syd steht ganz still. "Schön, dass ihr bei uns seid", sagt er noch,
und einen ganzen Augenblick hält Fritz ihn fest an sich gedrückt.
Zwei
Tage vor Goa stolpert Carol über ein Tau. Um Verbandszeug zu holen,
geht Syd zum Arzt. "Mit ihrer Gerinnung stimmt es schon lange nicht
mehr", brummt er und schiebt dem Doktor die letzten Berichte über den
Tisch. - "Können Sie am Nachmittag noch mal kommen", fragt er nach einem
Blick auf die Diagnosen, "bis dahin, denke ich, bin ich durch."
Zwar
wehrt sich Syd, denn es ist ihm nicht recht; aber Trude setzt sich
schließlich doch durch: Sie ist bei der Besprechung mit dem Schiffsarzt
dabei: "Nach allem, was Sie hinter sich haben, denke ich, können wir
ganz offen reden." Er schaut in die Papiere. "Mamma-Ca. Operiert.
Bestrahlt. Chemotherapiert - austherapiert, wie es hier heißt.
Knochenmetastasen, Lebermetastasen . . . Mann, welches Risiko gehen Sie
ein! - Sie werden verstehen, dass ich dem Kapitän vom Zustand Ihrer Frau
Kenntnis …" Er wischt sich den Schweiß. "Ihre Frau muss in Überwachung,
in eine Klinik, braucht Pflege . . ."
"Hat sie's dann besser?", fragt Syd, und es bleibt alles wie's ist an diesem Nachmittag und auch am folgenden Tag.
Jeden
Augenblick könne sich der Zustand Ihrer Tante dramatisch
verschlechtern, spricht der Arzt Trude und Fritz am nächsten Tag noch
mal an. Das sei Ihnen hoffentlich - "Wissen Sie, dass Sie mit einem
todkranken Menschen reisen?", bricht es aus ihm heraus. - Sie nicken,
betreten, aber dann holt Trude tief Luft: "Det is uns ooch klar, aber
erst, seit wa an Bord sind, Herr Doktor. Im Jrunde sinds ooch nich wir,
die mit ihnen reisen, sondern se reisen mit uns. Se ham sich nemlich
erst ziemlich spät - " Sie bricht ab, schaut mit zusammengekniffenen
Augen . . .
"'s war unsere Reise", erklärt ihm Fritz. "Wir beede hier
ham se gleich nach Neujahr jebucht. Syd und Carol sind kurzfristig dazu
jekommen. Nach 'm 11. September war'n wieder Plätze frei." Aber
plötzlich fasst er sich kurz, denn er spürt Trudes Hand. Als sie den
Doktor verabschiedet haben, zieht sie ihn mit sich zum Bug: "Is det nich
merkwürdig, Fritz - se ham sich erst für die Reise entschieden, als et
keene Landjänge mehr gab. Goa und Ceylon, na ja, aber det kommt ja erst
janz zum Schluss. Könnte doch sein - dass se hier uff'm Schiff sterben
will, oder is det wieder mal zu weit herjeholt …"