Gedichte

AN EINEN BRITISCHEN STAATSMANN


Almanach deutschsprachiger Schriftsteller-Ärzte 2005

ISBN 3-927999-12-1

 

Weihnachten. – Dein Auge glänzte, und

lächelnd gab uns dein Mund die Botschaft kund:

„Es ist die gute, Freunde, die rechte Tat!

Die Menschen schmachten nach Freiheit und Demokratie.

Beides hatten sie ja noch nie.

Wir tun das Rechte, handeln nach klugem Rat,

wenn wir Menschenwürde streuen als Saat in den Wüstensand.“ –

Und Truppen, Panzer, Suchgerät,

Raketen, Bomber und Piloten waren längst schon auf dem Stand.

 

Stell dir vor, du hättest bei deinen Kindern gesessen

an ihren warmen, bewachten Betten.

Ihr hättet gelauscht, wie der Regen fällt, und du hättest erzählt – vom Rechten

und von der Freiheit und Demokratie,

die du nun bald allen Kindern schenkst

und ihren Müttern und Vätern im Wüstenland und auch

den Kranken und Alten und allen Babys im Bauch.

Was für ein großartiges, gigantisches Unternehmen das sei.

Welche Logistik und Strategie!

Wie viel es koste an Geld, Gerät, Mut und –

„Auch Blut?“

„Möglich.“

„Muss einer sterben, Vater?“

„Ein Soldat. Ein Alter. Eine Oma vielleicht.“

„Die Mutter?“

„Schlaft jetzt. Es reicht.“

„Ein Kind, Vater? Ist auch ein Kind bei den Toten dabei?“

Während sie Antwort suchten in deinem blendenden Blick,

hätte ihnen das Spiel deiner Stirn alles enthüllt als ein Theater,

und ihre kleine Hand wäre aus deiner geglitten: „Vater,

dann wäre das Rechte aber das Schlechte!“

Sie hätten ’s geflüstert, mit Entsetzen gehaucht,

was die Menschen längst riefen im Land,

was als Mehrheitsbeschluss aller Nationen die Völker verband,

das Uralte, das zu uns aus Schriften und Grüften raunt:

„Nicht allein wolle das Rechte.

Segen wär’s schon, wenn du meiden könntest – das Schlechte.“

 

Weihnachten. – Einst wurde einem gequälten Land ein Kind gesandt.

Es brachte Freiheit, ohne zu töten.

Doch du nahst mit Raketensturm, donnernd im Verband deiner Freunde;

und was ihr Freiheit nennt, wälzt sich als Riesenwurm

mit Panzergedröhn durch den Sand;

hebt sich als Feuerdom aus einer zerfetzten Welt bis an den Himmel heran.

Still ist es drinnen. Kein Laut.

Von seinem Glühen umschlossen liegen Kinder in ihrer verbrannten Haut:

Keine Arme zum Spielen.

Keine Beine zum Springen.

Keine Augen für Tränen.

Keine Kehle für einen letzten Schrei – aber frei.

Der Vater zerrissen.

Die Mutter zermalmt.

Erschlagen die Brüder. Und während es qualmt

und süße Schwaden sich lösen aus schwelendem Fleisch

und sich sengende, schwer lastende Trümmer einbrennen

in seinen Leib, atmet etwas in seiner Brust.

Ein Söhnchen war er bis eben noch. Ein Söhnchen wie deins.

 

Shock and Awe hieß die Devise.

Entsetzt, gelähmt, vor Ehrfurcht starr,

verstört, verwirrt und ganz von Sinnen

wolltet ihr – die Befreier – die Geknechteten finden.

Um ihnen Demokratie und Freiheit zu künden?

Demokratie liegt zertrampelt – ein trüber Schein.

Und Freiheit? Sie war dein für ein „Nein“.

Du kannst nichts geben. Ist dir das klar?

Schon immer war, wer gibt, was er nicht hat,

nur – ein Narr.

 

Wenn du nun zu ihm gingest, der ohne Hände, ohne Arme liegt und verbrannt.

Wenn du bei ihm bliebest,

ihm Tag für Tag wärst, was du ihm nahmst:

Seine Mutter, die ihn jetzt hielte, hättest du sie ihm nicht zermalmt;

Die mit ihm weinte, ihn wiegte, die seine Tränen küsste und sein Entsetzen teilte,

wenn er einen Blick wagte und seine Stümpfe besah;

die ihm als Einzige folgte zum tiefen Grund und dort mit ihm weilte,

ja noch am Rand zum Verzweiflungsschlund

kauern würde, dort wartete, wüsste,

sie müsste ihn lieben, solang Gott sie ließe. –

Der Vater – auch den hast du ihm ja genommen:

Tropfenweis’ hätte er seinem Kleinen jetzt die verdorrten Lippen getränkt,

ihn gefüttert, sich mit den Brüdern die Wache geteilt

und seinem Söhnchen unter Tränen ein Leben lang seinen Schutz gewährt.

Sein Vater, dessen schwere Hand das Kind jetzt auf seiner Stirn wüsste,

und der ihm einmal gestand:

„Als ein Geschenk hat dich Gott meinem Leben gegeben.

Auch die verruchteste Macht kann nichts ändern daran.“

Schluchzend hätte es sich dem großen Mann aus der Kehle gequält:

„Wir hatten’s nie gut.

Immer war es gefahrvoll und schwer.

Doch diese Hölle – wir können sie nur gemeinsam durchleben.

Wir –, ich brauche dich, Junge, brauche jetzt deinen Mut.“

 

Wenn du nun zu ihm gingest in seinen Kerker;

Wenn du mit ihm lebtest, den du so schlugst,

ihn pflegtest alle Tage und jede Nacht,

und ihm tätest, was Liebe dir sagt.

Wenn sein Schmerz wäre dein –

Vielleicht könnte es dann, irgendwann einmal

für dich Weihnachten sein.