VOM STOLZ
Almanach deutschsprachiger Schriftsteller-Ärzte 2005ISBN 3-927999-12-1
Leseprobe
… Schon vor gut dreißig Jahren meinte ich, das Wort Stolz (pride) in den USA sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Leben häufiger zu hören, als ich es bis dahin gewohnt war. Natürlich haben auch wir die "stolzen Eltern" oder jemanden, der einem mal auf die Schulter klopft und bedeutet, man könne doch stolz sein auf ein Erreichtes. Aber in den USA begegnet einem "der Satz I am proud (<ich bin stolz>) … auf Schritt und Tritt … Amerikaner sind stolz auf ihre Gemeinde, ihre Schule oder Universität, sie sind stolz auf ihre Kinder, ihre Eltern und natürlich auf ihre eigenen Leistungen. Vor allem aber sind sie stolz auf ihre Nation. 98,5 Prozent bekennen dies offen, während es bei uns nur 51 Prozent sind. Die unbefangene Bereitschaft, auf alles Positive im eigenen Umfeld stolz zu sein, gehört zu der das gesamte Gesellschaftsleben durchdringenden Motivationskultur." (H.-D. Gelfert, Anglizist).
Nun ist gegen Bemerkungen wie I am so proud of you oder Slogans wie Quality is our pride vielleicht nicht viel einzuwenden. Mr. and Mr. X proudly announce auf Geburts- oder Hochzeitsanzeigen dagegen oder We proudly present, eine Floskel, mit der gewöhnlich neue Modellreihen auf den Markt gebracht werden, stimmen schon nachdenklicher. Tradition of Pride and Excellence aber auf den Buttons der Angestellten im Supermarkt schien mir nun doch zu hoch gegriffen und darüber hinaus unnötig. Schließlich verkauften sie wie alle anderen auch nur Produkte wie Tomaten, Waschmittel und Hundefutter. Die Liste der stolzen Bekenntnisse scheint auch mit Proud to serve you, Proud of excellent reputation since 1985 oder Proudly serving Starbucks noch lange nicht vollständig. Pride - you owe it to yourself, meint ein Finanzberater, der einem Verschuldeten bei der Umschuldung behilflich sein möchte. Es gibt die Pride Insurance Company; und der Spenglerbetrieb wirbt mit: Get national strength with local pride für Regenrinnen und Kandelrohre. Natürlich hält sich der Stolz auch in Sprüchen wie Like No Other Rug Store In The World oder We never stop working for you gut versteckt. Der Stolz schlüpft eben überall rein. Not Just The Lowest Prices In Town But On Earth, wirbt deshalb ein Unternehmen für seine Schlüssel und Schlösser.
We are the Best! Simply the Best. Ist das einfach nur Prahlerei? The Finest. Always the Finest. The Greatest. The Largest. The Highest. The Ultimate. The Extreme. The Elite - am Anfang jedenfalls hatte ich alles geglaubt. Auch später, als es dem Elite-Team nicht gelang, unseren Fernseher ans Netz anzuschließen, und die Spüle in der Küche, nachdem der ultimative Klempner gegangen war, schon wieder leckte, habe ich das Ganze noch mit einem Augenzwinkern bedacht.
Endlich aber merkte ich, dass das, worauf sie so stolz waren - neue Babys zum Beispiel, neue Schwiegersöhne oder ihre Nationalität - entweder in dieser Großartigkeit oder Vielfalt nicht existierte oder dass sie zumindest an seinem Zustandekommen kaum oder gar nicht - jedenfalls viel zu wenig - beteiligt waren. Mit solchen Gedanken oder Äußerungen kann eine Fremde dem nationalen Hochmut natürlich nicht schaden. Lächelnd, aber verständnislos, wendet man sich von ihr ab.
Wenn überhaupt etwas zugegeben wird, ist es der Wohlstand: We are so spoiled (<wir sind ja so verwöhnt>). Die Überzeugung vom eigenen Gutsein, der eigenen Überlegenheit, finanziell und militärisch versteht sich, gipfelt deshalb auch in dem knappen Bekenntnis: I am proud to be an American, das jederzeit auf T-Shirts, Stickers, Buttons und Posters nachgelesen werden kann. Als Variationen hierzu sind auch American Pride oder MY CITY: I'm part of it, I'm proud of it und (nach dem 11.9.2001) Power of Pride bzw. Strong - Proud - United erlaubt.
Da diese Bekenntnisse ausschließlich in den Farben Rot - Weiß - Blau zur optischen Darstellung kommen, wenn nicht gar kombiniert mit dem Flaggendesign, ist das Gefühl des Stolzes aufs Engste mit der Erscheinung der Nationalflagge verknüpft, was dazu führen kann, dass man das Sternenbanner als das Symbol des Amerikanischen Stolzes ansieht.
Rückblickend meine ich, gab es auch von diesen Nationalflaggen in den USA schon immer mehr als genug. Natürlich wehten sie an den Kapitolen, vor Flughäfen, Bahnhöfen und Poststationen, markierten Feuerwehrhäuser und Shopping Plazas, verzierten Käsehäppchen und Pappgeschirr und blähten sich - besonders ausladend und träge - hoch über den Ausstellungsplätzen der Autohändler. Doch nach dem 11. September 2001 wimpelte, flatterte, wehte es wie verrückt. Für 3.99 US$ mit Halterung für das Autofenster bekam man sie schon im Supermarkt. Heute, zwei Jahre danach, ist der Preis auf 4.99 US$ gestiegen.
Drei von fünf Fahrzeugen flatterten damals mit mindestens einem Fähnchen herum. Von den übrigen zeigten die meisten ein Abziehbildchen, oder man hatte die ganze Heckscheibe mit der Flagge verhängt. Die Symmetriebewussten unter den stolzen Patrioten fuhren wie Staatsbesuch durch die Gegend.
Auf meiner Einkaufsfahrt hatte ich eine schmale Brücke zu überqueren - ca. 10m lang. Ihr Geländer wurde auf beiden Seiten von je fünf Flaggen geschmückt; und das Tor zur Autowaschanlage wurde beidseits von je drei Fahnen zugeweht.
Hatte ich nicht in Timisoara, Rumänien, einmal gefragt, warum sie gleich zweimal dasselbe Bild ihres Präsidenten an derselben Wand angebracht hätten? - Zwei, das sei schon ein Fortschritt, hatte mir unser Freund damals erklärt. Schließlich hätten vor einem halben Jahr an dieser Stelle noch stolze fünf Exemplare geprangt!
In den USA glänzte das Emblem nationalen Stolzes nun jedenfalls an den Straßenecken auf fest montierten Plakaten. Männer, die auf sich hielten, trugen es längst am Revers. Aus Blumentöpfen und Vorgärten leuchtete es einem entgegen, wimpelte an Briefkästen, hing von Balkonen und Fensterbänken herab. Man fand es an die Haustür genagelt oder - groß wie ein Tischtuch - auf dem Garagentor.
Bald gab es auch Ständer. Gleich fünf Fläggchen fanden so - hübsch zum Halbkreis gereiht - im Autoheck ihren Platz. Nicht zu vergessen: Der Teleskopständer, auf eine kofferfreundliche Länge zusammenschiebbar. Nichts konnte den stolzen Amerikaner nun mehr daran hindern, wo immer er sich aufhalten würde, sein Fähnchen zu hissen - auch für das Camping übrigens a fantastic idea!
Weihnachten kam. Nun trugen auch die Ladys das fein gestreifte, sternbetüpfelte Emblemchen als Strassbrosche (oder waren sie echt?) an Kleid oder Kostüm; übrigens nicht da, wo sie die Hand immer hintun, während sie singen, sondern direkt unter dem Schlüsselbein und dicht am Schultergelenk.
In den Kaufhäusern stapelten sich blaue Hosen mit Sternchen, dazu rot-weiß gestreifte Shirts, die alle als Schlaf-, Haus- oder Strandanzug ihren Einsatz erwarteten. Krawatten und Westen mit Stars and Stripes, Bettwäsche, Gürtel und Pullover mit der Fahne bedruckt . . . Auf einem Werbeplakat kuschelten sich Teenager in warme, weiche Flaggendecken, riesige Plüschschlappen an den Füßen im Fahnendesign, im Arm Plüschteddys im Fahnenkleid: Pride feels no cold (englisches Sprichwort).
Sterne zogen sich mit Streifen über Sektkübel, Hummerplatten und Weihnachtskugeln, verhüllten Schokoladenhäppchen und schmückten den neuen Drink: American Concord, genießbar auch für die vielen Mitbürger, denen ihre moralische Gesinnung jeglichen Genuss von Alkohol untersagt. Natürlich trug auch Santa plötzlich ein Fahnenkostüm. Und vor dem Nachbarhaus schwenkte er sein Fähnchen im Walzerrhythmus von "Stille Nacht". Weihnachtsjubel kam auf: Wir kontrollieren Afghanistan!
Wie hatte doch der Literaturkritiker Hans Reimann 1964 noch geulkt: Das Sternenbanner, ist das vielleicht ein Banner, mit dem man die Sterne bannt? Das Lachen, denke ich, ist uns, dem rest of the world, die wir ja eigentlich 96 Prozent der Weltbevölkerung bedeuten, inzwischen vergangen.
Hochmut kommt vor dem Fall. Mit diesem Wort aus den Sprichwörtern der Bibel (16,18) kommentierte Nina Ruge am 4.8.2003 die Pleite von Mike Tyson, der nun mit einer halben Milliarde Dollar in der Kreide steht.
Die Geschichte vom Stolz ist lang. Und obwohl jeder zu ihrer Erzählung mit beitrug und -trägt, ist sie nur wenigen bekannt, und sie wird kaum gehört. Da kommt alle Hoffart her, fängt sie an, wenn ein Mensch von Gott abfällt und sein Herz von seinem Schöpfer weicht. Und Hoffart treibt zu allen Sünden; und wer darin steckt, der richtet viel Greuel an (Eccl. 10,14-15). Auch Deutsche haben ein Kapitel in dieser Geschichte geschrieben. Es heißt: Stolz weht die Flagge Schwarz-Weiß-Rot (R. Linderer, Deutsches Flaggenlied).
Die Geschichte vom Stolz handelt von der Sehnsucht nach Geltung, von der Eitelkeit, vom Ehrgeiz, vom Streben nach Macht. "Sobald das Geltungsstreben überhand nimmt", schreibt der Psychoanalytiker Alfred Adler, "ruft es im Seelenleben eine erhöhte Spannung hervor, die bewirkt, dass der Mensch das Ziel der Macht und Überlegenheit deutlicher ins Auge fasst und ihm mit stärkeren Bewegungen näher zu kommen trachtet. Sein Leben wird wie die Erwartung eines großen Triumphes. Ein solcher Mensch muss unsachlich werden, weil er den Zusammenhang mit dem Leben verliert" ("Menschenkenntnis" 1995). Sein ganzes Interesse, so Adler, müsse darin liegen, den Eindruck der Überlegenheit bei seinen Mitmenschen zu erwecken und zu bewahren. Mit bestürzender Konsequenz fließt also die gesamte Lebensenergie eines stolzen Menschen in den Bau und Erhalt einer Fassade.
So hat er zum Beispiel nie Schuld - darf sie nicht haben - da sonst seine Eitelkeit verletzt und damit das Gefühl seiner Überlegenheit leiden würde. Immer ist er im Recht, belädt andere mit seiner Kritik und wird nicht müde, sie ins Unrecht zu setzen: " . . . alle sind immer der Angriffspunkt und fortwährend der Zerstörung ausgesetzt". Natürlich wird er sich brüsten, wie gut es ihm gehe, was für ein Schlaraffenland das sei, worin er lebe. Er wird prahlen, was er alles kann. Gleichzeitig wird er zu verbergen wissen, dass er nicht alles kann. Aus privilegierter Stellung, schreibt Adler, aus einem sicheren Abstand heraus, wird er jeden misstrauisch beobachten; den Mitmenschen immer nur sehen als seinen Feind und in jeder Schwierigkeit eine große Gefahr. Die kleinste Verletzung wird den Stolzen erscheinen wie die Bedrohung ihrer gesamten Existenz. Besorgt allein um den eigenen Vorteil, für den Schmerz anderer unempfänglich, stets abwehr- und kampfbereit, wobei Mut leicht zur Frechheit und Selbständigkeit zum Egoismus entartet - " . . . die Deutlichkeit, mit der sie alles das tun, und das Überflüssige daran, . . . verrät uns auch, dass alles an ihnen nur ein künstlicher Bau ist, der sich über einer unsicheren, schwankenden Grundlage erhebt". Und Adler fährt fort: "Unerbittlich verlangt er [der Stolze] Beugung des anderen unter die Gesetze, die sein Eigensinn geschaffen hat, er verlangt einen anderen Himmel als den, den es gibt . . . Kurz, seine Unzufriedenheit und Unbescheidenheit ist ebenso ungeheuerlich, wie alles, was wir an ihm finden."
"Ich bin Stolz", stellt sich der Stolz in Christopher Marlowes "Doktor Faustus" vor und beendet seine Selbstdarstellung kokett mit: " . . . was tue ich nicht?"
Mit Scham- oder Gefühllosigkeit demonstriert der Stolze seine vermeintliche Größe genau so wie durch Unnachgiebigkeit und Verschlossenheit. Eingeladen, stellt er Bedingungen, kommt gar nicht oder zu spät, kann aber auch anwesend sein, nur um allen anderen ihr Spiel zu verderben. Alles tut ein Stolzer, wenn es nur Geltung ist, die er sich dadurch verschafft. Was täte er nicht?
In übertriebener Güte, im Gottähnlichkeitswahn erhebt er sich genau so über die Menschen wie in rastlosem Streben nach Geld, Macht und Besitz. Der Besitz von Macht, schreibt Adler an anderer Stelle, sei heute so sehr mit Geld und Eigentum verknüpft, das Streben nach Reichtum und Besitz erscheine vielen so natürlich, dass man es gar nicht mehr merke, wie so viele, die dem Geld nachjagen, von nichts anderem als ihrer Eitelkeit getrieben werden.
Es ist die Ausschließlichkeit, mit der der Stolz uns regiert: Schnell ist sich der Arme zu gut für die gute, die menschliche Tat, zieht sich verweigernd zurück. Schnell öffnet er sein Ohr dem Neid, der Missgunst oder der Schadenfreude - Stolz von unten nennen wir das. Der Reiche, der Einfluss-Reiche, der mächtige König dagegen, galt schon in der Antike als Verkörperung der Willkür schlechthin: Das heiße ich König sein, straflos zu tun, was beliebt (Sallust, Jug 31,26). Hat nicht auch George W. Bush mit Freude berichtet, Präsident zu sein, bedeute für ihn, endlich Dinge tun zu können, ohne sie ständig erklären zu müssen? Das wahnsinnige Beginnen der Könige büßen die Völker, resümierte bereits Horaz (16).
Es geht um Überheblichkeit, wenn es um Stolz geht, ja. Aber im weiteren Verlauf geht es um Starre, Unbeweglichkeit, Erstarrung und Tod. "Wir liebten es, geliebt zu werden", räumt der Historiker Fritz Stern für die Bürger Amerikas ein. Zwar würden sie untereinander schon Kritik üben, "doch als Nation grollen wir Ausländern, die eine solche Kritik wiederholen". Seine Beispiele für die Verteufelung des Gegners reichen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück: " . . . als die Vereinigten Staaten im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland kämpften, schwelgten sie in Karikaturen des brutalen Hunnen, des bösen Junkers . . .". Und: "Vermutlich betrachtet Ronald Reagan die Sowjetunion als ‚Quelle allen Übels' . . . In seiner [Reagans] Sicht sind die Sowjets hinterlistig und stark, aggressiv und expansionslüstern, stets auf Beute aus; sie sind durch und durch gottlos und haben mit uns [den Amerikanern] überhaupt nichts gemein." Jeden ihrer Schritte vergleiche Reagan mit dem "Auslegen eines weiteren Fangarms: Teil eines ruchlosen Plans zur Ausweitung ihres schändlichen Einflusses auf immer neue Gebiete." ("Der Traum vom Frieden und die Versuchung zur Macht", 1988)
Noch im Zweiten Weltkrieg schrieb General Eisenhower in einem Brief an seine Frau von der hun power, die es zu brechen galt. Die verbale Entwertung ihrer Mitbürger japanischer und deutscher Herkunft während des Zweiten Weltkrieges und ihre jahrelange Internierung sind ebenfalls Beispiel hierfür.
Auch die Umbenennung von French Fries (Pommes frites) in Freedom Fries, fällt mir zum Thema Verteufelung ein: Frankreich war wegen seiner Weigerung, beim Irak-Krieg mitzumachen, am Hof des George Herbert Walker Bush so sehr in Ungnade gefallen, dass sich die Fellow Americans kaum noch in ein französisches Restaurant hineinzugehen trauten. So tippelten auch Debbie und Mel aus unserer Nachbarschaft in Boca Raton, Florida, zunächst ratlos vor ihrem Lieblingsbistro auf und ab und spähten erst einmal durch die Scheiben, bevor sie es betraten. "Wenn es leer gewesen wäre", gestand Debbie, "hätten wir dort nicht gegessen". So also ist das im freiesten Land der Welt! Oder hängt Freiheit vielleicht doch mehr von dem Mut und der Mühe ab, die der einzelne aufbringen kann, um sein Recht auf Freiheit zu nutzen? -
Im Dämonisieren zeigt sich nur eine Seite der Schwarz-Weiß-Malerei: Die Deutschen seien entsetzt über die Rückkehr zum politischen Manichäismus, schreibt Stern: " . . . die Sowjetunion als Verkörperung des Bösen und die Vereinigten Staaten anscheinend per Definition als Quelle der Tugend". - Es ist die Gefallsucht in der Pose des Guten, die nicht nur andere als ‚Achse des Übels' verdammt, sondern Erstarrung zur Folge hat, blind macht für die Realität. Auch Gelfert betont in seinem Buch "Typisch amerikanisch", "dass die Amerikaner der Gefahr erliegen, etwas für böse zu halten, nur weil es den eigenen Interessen oder dem eigenen Wertesystem entgegensteht". - Lasst uns die Dinge sehen, wie sie sind und nicht wünschen, weiser zu sein als Gott, ermuntert Gustave Flaubert alle Stolzen zur Rückkehr in die Realität. Doch der Amerikaner, meint Gelfert, sehe sich "von seinem Schöpfer mit einem instinktiven Sinn für das Richtige ausgestattet". Worum andere sich seit Jahrtausenden mühen - das Wesen von Böse und Gut zu ergründen - haben Amerikaner, so meinen sie jedenfalls, ganz einfach im Blut. Die Tatsache des eigenen Irrtums, der eigenen Verletzbarkeit wird deshalb auch zur Unmöglichkeit deklariert. Dass du ihn schwach gesehn, vergibt er nie, warnte ja Hedwig schon ihren Tell. Weil man im Recht ist, macht man auch keine Fehler, hat sie nie gemacht, muss nichts eingestehen, zugeben, braucht sich bei niemandem zu entschuldigen. Nichts tut einem Leid. "I will never apologize for the United States", bekannte schon Bush Senior. "I don't care what the facts are" (Hertsgaard, M. et al., "The Eagles Shadow", 2002).
Wer dem Stolz nicht ins Konzept passt, den knöpft er sich vor. Lässt er sich bestechen, so ist es gut. Wenn nicht, wird er verteufelt oder bestraft. Von Ausrottung ist dann die Rede, von der Ausrottung mit Stumpf und Stiel (rooting out). Fritz Stern bestätigt den streitbaren Ton amerikanischen Rhetorik, "dem glücklicherweise nicht die Tat entsprach." Bis dahin, müssen wir heute einschränkend sagen.
"Was sollen wir denn eines Tages unseren Kindern erzählen und unseren Enkeln", hatte im Herbst 2002 ein alter afrikanischer Amerikaner gefragt, als er mit Freunden über die Organisation ihrer Anti-Kriegs-Demonstration sprach, "wenn wir alles zerstören, was wir nicht kennen oder was uns eines Tages vielleicht gefährlich werden könnte; alles, was uns ganz einfach nicht passt?"
Wäre es nicht gut, einmal auf die eigenen Stimmen zu hören? Vor allen anderen fällt mir die Martin Luther Kings ein: When evil men burn and bomb, good men must build and bind.
Der Mensch sollte stets beugsam sein wie das Schilf, raten die Meister im "Book of Legends (Schocken 1992). Das Schilf mag Symbol sein für die Nachgiebigkeit, das Einlenken, die Beweglichkeit - Dante sah in ihm das Wesen der Demut verkörpert; doch steht es über seine Wurzeln auch weit verzweigt sicher im nahrhaften Grund. Es ist somit auch eine Metapher für die Verankerung in der Welt, für die Verbindung zur Wirklichkeit, für die Verknüpfung mit der Allgemeinheit, aus der allein Wachstum, Stärke, Gesundheit entsteht.
Wer dagegen die Befriedigung seiner Eitelkeit in unbändiger Herrschsucht sucht und von der Allgemeinheit nur spricht als the rest, ist für solche Überlegungen, fürchte ich, taub. He [Bush] stopped listening, meinte deshalb wohl auch David Brooks, Kolumnist der New York Times, am 14.3.2003 in der News Hour with Jim Lehrer, als nur noch ein Sandsturm zwischen dem Präsidentenwort und der ersten Bombennacht lag. Damals, es war spring break, aalten sich in Boca Raton die jungen Mädchen in knappen Bikinis am Strand: Blaue Körbchen, ein Stern über jedem Nipple, und rot-weiße Streifen über dem knackigen Po; aber das hatten wir schon.
Nein, damals, als die ersten Bomben fielen, waren es Debbie und Mel, die mein ganzes Entsetzen traf, meine Verzweiflung und Wut. Sie blieben still, sahen mich an, als säßen sie im falschen Theater. Später, nach dem Essen, tätschelte Debbie meinen Arm: "Wir müssen das Böse bei der Wurzel packen, weißt du. Wir müssen es einfach ausrotten - mit Stumpf und Stiel!" Keinesfalls stand sie mit dieser Überzeugung allein. Achtzig von hundert Amerikanern stimmten damals für den Krieg gegen den Irak. Auch acht Monate nach der Wahnsinnstat konnte Andy Rooney, Grandseigneur des amerikanischen Journalismus, als er öffentlich über die erlogenen Kriegsgründe nachdachte und meinte, Bush hätte das alles wohl besser nicht gesagt, noch einen Sturm nationaler Entrüstung entfachen! Obwohl - einige meinten, nie hätte er Besseres gesagt …