Leseprobe 3

… endlos wand sich der Fluss durch den Wald – ein düsteres Wasser, uralt und immer neu. Stranden und Strömen. Sein Fließen gräbt Tiefen, schafft neuen, unerwarteten Grund, landet an, reißt mit sich fort. Nichts kann bleiben. Alles formt er in seinem Strom, in seinem Strudel und kräuselndem Spiel: Scharf geschnittene Ufer wie sanft geschwungenen Strand und Bänke aus Sand, die leuchten herauf aus der tiefroten Flut, glänzend wie ringende Körper, im Kampf miteinander verkeilt. Andere wiegt er im moorigen Wasser, bis sie sich wölben, bis sie sich biegen, bis sie ein Netz von Rissen zerfurcht – verschlungene Därme, schwarzes Gehirn. Niemals bleibt er. Doch wohin läuft er?
Wohin er sich wendet, ergibt sich im Strom.

Sie war flussaufwärts geflogen, hatte eintönig brummend Kreise und Schleifen gedreht, war höher gestiegen, um Überblick zu gewinnen, hatte versucht, über dem Kronenraum Lücken zu finden. Auch Thadde – neben ihr – spähte angestrengt auf den Urwald hinab, erkundete Lichtungen, suchte unter Buschwerk und Bäumen nach Hütten. Von einer menschlichen Siedlung oder gar einer Landebahn fehlte jegliche Spur. Mehrmals hatte sie schon auf die Spritanzeige geschaut, denn sie hatte den Flug auf fünfundvierzig Minuten kalkuliert, war inzwischen aber schon fast eine Stunde in der Luft.
„Lass uns zurück fliegen“, meinte Thadde, „den Fluss entlang. Dabei suchen wir noch mal die Ufer ab.“
Als sie wendete, versanken die Wipfel, und er wurde in die Lehne gepresst. Nur noch Himmel. Aber er hörte nicht auf, sich zu drehen, denn sie kreiste noch immer, enger jetzt, wieder hinab. Thadde klebte in seinem Sitz.
„Hast du...?“ Doch er hatte sie schon entdeckt, die schnurgerade, schattige Kerbe im endlos gebuckelten Wald. Sie verlief parallel zum Fluss und entpuppte sich, als sie jetzt tiefer kamen, als ein schmaler, rechteckiger Spalt: Die Piste! Im rüttelnden Aufwind hielt Yajaira schon auf sie zu. Sie senkte das Flugzeug zwischen die Bäume, und alle Wipfel, schien es, schossen auf die Maschine zu. Schon schwebten sie in die Schneise ein, streiften wogende Halme, tauchten ins Pistengras, stießen auf ausgetrockneten Boden, der sie zwei-, dreimal nach oben warf, bis sie rasten und niederschlugen, was sich ihnen tausendfach schwankend auf hohlem Stängel entgegen hielt. Zwei tiefe Rinnen furchte ihr Fahrwerk in das brusthohe Gras. Vor den Büschen brachte Yajaira die Maschine zum Halt, drehte. Thadde und Hannes kletterten ’raus. Sie rückte die Kopfhörer zurecht. „In genau einer Woche“, hörte Thadde sie durch den Lärm, „hole ich euch hier ab. – El punto!“(2) Energisch markierte ihr Daumen eine Stelle unter dem Cockpit im Gras.
War es ein Lächeln, mit dem sie ihn grüßte? Auf jeden Fall war es knapp. Der Propellerwind schob ihn fast von der Piste – weg, ab, zurück! Mit geblähtem Hemd stand er und flatternder Hose und hielt sich den Hut. Die Maschine bebte, schüttelte, sprang aus den Furchen, schlingerte, rollte, war plötzlich leise und klein. Er starrte ihr nach, bis sie sich hob und weit hinten im Dunst des Tages verschwand.
Stille lag über der Piste. In seinem Ohr pfiff es, und ganz zaghaft machte ihm ein Ziehen in seiner Schulter sein Unglück bewusst. Es stieg in den Nacken. Dort verwandelte es sich in einen Schmerz, der sich unverzüglich in seinen Kopf begab. Grell flimmernd und heftig pochend drängte er sich von hinten bis in die Stirn.
„Wat is’n los, Mensch? Kannste nich kieken?“
Hannes! Ja, Hannes. Er war noch da..
„Jetz saach doch ma wat!“, wetterte er sogar.